Politik

Obama und Merkel: Überraschend weiche Erklärung zu Russland

Lesezeit: 3 min
07.06.2015 16:29
US-Präsident Barack Obama und Angela Merkel haben vor dem G7-Gipfel eine etwas weichere Linie gegen Russland beschlossen. Washington braucht Moskau in den verschiedenen globalen Konflikten. Die EU ist vor allem wegen der Flüchtlinge massiv unter Druck.
Obama und Merkel: Überraschend weiche Erklärung zu Russland

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Vor dem G7-Gipfel haben US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Marschrichtung gegen Russland ausgegeben. Sie ist vergleichsweise weich. Das Weiße Haus teilte mit: "Die beiden Führer haben die anhaltende Krise in der Ukraine diskutiert und beschlossen, dass die Sanktionen eindeutig an die vollständige Erfüllung des Minsker Abkommens durch Russland und den Respekt Russlands für die Souveränität der Ukraine gekoppelt sein soll."

Diese Position vermeidet die Erwähnung der "völkerrechtlichswidrigen Annexion" der Krim durch Russland, die von den Hardlinern um John McCain als rote Linie gesehen wird. Der "Respekt" für die Souveränität der Ukraine ist deutlich unbestimmt gefasst, es wird daraus nicht klar, ob ein Rückzug aus der Krim überhaupt noch erwartet wird.

Im Minsker Vertrag steht von der Krim nichts, die Russen ihrerseits betonen seit Monaten, dass sie Minsk für den richtigen Weg halten. Der Bezug auf Minsk gibt aber der Regierung in Kiew einen gewissen Spielraum: Wenn es gelingt, eine Eskalation zu provozieren oder aber der Russen in die Schuhe zu schieben, dann könnte das als Bruch des Abkommens durch Minsk wieder zu einer Verhärtung führen.

Merkel bestätigte die neue US-Position und sprach sogar von den Bedingungen für eine Aufhebung der Sanktionen: Eine Lockerung der EU-Sanktionen gegen Russland hängt nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor allem von Russland selbst ab. In einem ZDF-Interview sagte Merkel am Sonntagabend am Rande des G7-Gipfels in Schloss Elmau, die Sanktionen könnten aufgehoben werden, wenn das Friedensabkommen von Minsk umgesetzt sei. "Das liegt auch ein Stück weit in russischer Hand, auch in ukrainischer", sagte sie.

Die Amerikaner interessieren sich aktuell nicht für eine Eskalation: Ihnen genügt der gegenwärtige Zustand, um die Russen in Schach und die EU beschäftigt zu halten. Außenminister John Kerry war erst kürzlich nach Moskau gereist, um mit Russlands Präsident Putin über die verschiedenen Krisenherde zu sprechen. Die Amerikaner müssen mit den Russen kooperieren, weil sie sich mit dem internationalen Terrorismus einem gemeinsamen Feind gegenübersehen. Das war auch in einem Presse-Briefing des Weißen Hauses eindeutig als Strategie zu erkennen.

Die EU hat in der Russland-Frage keine eigene Position. Polens EU-Präsident Donald Tusk verkündete zwar, man müsse härter gegen Russland vorgehen. Seine Meinung ist jedoch unerheblich. Die EU muss nämlich in erster Linie versuchen, die Lage in Nordafrika irgendwie zu beruhigen - und das dürfte nur mit Unterstützung Russlands möglich sein: Die Flüchtlingsströme nach Italien reißen nämlich nicht ab. Innerhalb weniger Stunden sind im Mittelmeer erneut Tausende Flüchtlinge aus Seenot gerettet worden. In mehr als einem Dutzend Rettungsaktionen wurden allein am Samstag 3480 Menschen in Sicherheit gebracht, wie die italienische Küstenwache mitteilte.

In den vergangenen Wochen haben tausende Migranten die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer nach Europa gewagt. Seit Jahresbeginn erreichten bereits mehr als 40.000 Menschen die italienischen Küsten, in ganz Europa waren es bis Mitte Mai laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) mehr als 65.000. Demnach kamen seit Jahresbeginn mindestens 1.800 Migranten ums Leben.

Dieser Zustand kann nicht anhalten, weil sich viele EU-Staaten kategorisch weigern, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Daher ziehen viele Flüchtlinge derzeit durch Europa in der Hoffnung, Aufnahme zu finden. Allerdings hat die EU angeblich kein Geld, um den in Not geratenen Menschen zu helfen. Sie hat andere Prioritäten: Der G7-Gipfel in Elmau kostet mindestens 360 Millionen Euro. Davon könnte man vermutliche alle aktuell strandenden Flüchtlinge jahrelang menschenwürdig versorgen und integrieren.

Dabei kommt es zu teilweise erschreckenden Ausbrüchen von Menschenverachtung und üblem Rassismus: So hatten sich Funktionäre der österreichischen FPÖ in einem Wiener Bezirk Flüchtlingskindern mit Plakaten entgegengestellt, auf denen "Nein" geschrieben stand - als Ausdruck, dass die Flüchtlinge wieder verschwinden sollten. Solch unmittelbare barbarischen Konfrontationen mit politischen Parteien waren bisher in Europa ungewöhnlich und haben sogar die "Kronen"-Zeitung abgeschreckt. Dass es den EU-Politikern allerdings gelingen wird, sich auf dem G7 mit ihren existentiellen Anliegen Gehör zu verschaffen, ist eher unwahrscheinlich: Angela Merkel legte zu Beginn größten Wert auf eine perfekte Inszenierung und maximale Harmonie.

Die weiche Linie gegenüber Russland dürfte dennoch auch daher rühren, dass die EU-Parteien um ihre Zukunft fürchten, wenn das Flüchtlingsproblem nicht gelöst wird. In Österreich hat besagte FPÖ bereits die Mehrheit bei einer aktuellen Umfrage übernommen. Dies wird in den EU-Hauptstädten mit großer Sorge zur Kenntnis genommen.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft OWZE-Prognose 2024: Minimales Wirtschaftswachstum für Deutschland erwartet
02.05.2024

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) geht von einem minimalen Wirtschaftswachstum für Deutschland...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf die...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Technologie
Technologie Infineon vor herausforderndem Quartal: Augenmerk auf Zukunftsaussichten
02.05.2024

Der Chiphersteller Infineon sieht schwieriges Quartal voraus, mit moderaten Rückgängen und angespanntem Automobilmarkt. Wie geht es...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...